Stimmen

Hallesche Musikgeschichte „Sie hat uns nicht nur das Singen gelehrt“

Der Sopranistin Ulrike Taube zum 80. Geburtstag

Dass bereits fast fünf Jahrzehnte vergangen sind seit der Name Ulrike Taube in den Konzertsälen, in Presse und Rundfunk dominierte, scheint kaum nachvollziehbar. Vor allen jenen, die die Glanzjahre ihrer Sänger-Karriere miterleben durften, ist die sympathische, stets natürlich wirkende Künstlerin mit ihrem schlanken, obertontreichen und mit ganz eigenem Timbre ausgestatteten Sopran noch gegenwärtig wie eh und je.

Ob in Bachs Kantaten – unter der Stabführung von Günther Ramin –, ob in Haydns „Schöpfung“, im „Messias“, in Bachs oder Schütz Passionen – stets brillierte Ulrike Taube mit ihrem „gepflegten Sopran in ihrer bezaubernd stilvollen, unbeschwerten Art vorzutragen…“ ( Hallesches Tageblatt „Freiheit“ vom 12.4.1958)

Rundfunk- und Schallplattenaufnahmen, Gastspiele in Italien, Polen, Frankreich und natürlich durch ganz Deutschland prägten ihre illustre dreißigjährige Konzerttätigkeit.

Ulrike Taube gehört zu jener Generation, denen der Erhalt und die Weitergabe musikalischer Schätze nach den Jahren des Krieges und der Entbehrung zur Lebensaufgabe wurde. Und folgerichtig traf sie auf Gleichgesinnte, die in den 50er Jahren mit Enthusiasmus und Hingabe der fast vergessenen alten Musik wieder zu ihrem Recht verhelfen wollten. Durch Ausbildung, musikalische Praxis und durch ihre schlanke Stimmführung prädestiniert, avancierte sie zu den, in der damaligen Zeit eher selten anzutreffenden Spezialisten für die Musik des Mittelalters, der Renaissance und des Barock. Ob das „Ensemble für mittelalterliche Musik Krefeld“, die „Capella fidicinia“ Leipzig oder die von Gerd Ochs geleitete „Capella academica halensis“- sie alle schätzten ihre künstlerische Mirwirkung. Und Ulrike Taube stellte ihre Stimme gern in das harmonische Umfeld gemeinschaftlichen Musizierens.

Nicht zuletzt war ihr Gerd Ochs dabei stets ein guter musikalischer Begleiter und Mentor.

Mit ihm wurde sie 1955 von August Wenzinger – dem Schweizer Gambisten und Vorreiter der historischen Aufführungspraxis alter Musk – verpflichtet, um an der dortigen denkwürdigen Aufführung von Monteverdis „Orfeo“ teilzunehmen. Denkwürdig insofern, als das dies die erste Interpretationen war, die Monteverdis Oper mit historischen Instrumenten und in einer dem damaligen Wissensstand folgenden historischen Aufführungspraxis erklingen ließ. „Das ganze war unter Wenzingers Leitung ein Ereignis dessen Bedeutung sich nach der viel umjubelten Doppelaufführung in Hitzacker erschöpft haben sollte“ schrieb Musica 1955 in Heft 9.

Denn, so führte der Berichterstatter weiter aus, „August Wenzingers praktische Einrichtung des „Orfeo“ wurde zielstrebrig künstlerisch vollendet realisiert durch ein Aufgebot von Spitzenkräften alter Musik, das in intensiver Probenarbeit zu einer begeisterten Musiziergemeinschaft zusammengewachsen war… Helmut Krebs in der Titelrolle ragte aus dem Solo-Ensemble hervor, das auch mit Ulrike Taube, Margot Guilleaume, Peter Roth-Erang, Bernhard Michaleis und Horst Günter hervorragend besetzt war….“

Die Auszierung der Kadenzen, intern der verhaltene und doch sinnliche Gestus der barocken Klangentfaltung kamen hier bereits voll zum Tragen: Für die damalige Zeit ebenso spektakulär wie künstlerisch beeindruckend.

„Dieses vollkommene Gebilde aus dem Paradies der Oper, von dem Professor Anna Amalia Abert gesprochen hatte, wurde durch die Kunst der Sänger, unter ihnen Helmut Krebs (Berlin), Ulrike Taube (Halle) und Horst Günter (Hamburg) im leuchtenden italienischen Sprachklang, im differenzierten Detail stilvoller Auskolorierung über der reichen, gelegentlich ein wenig schematischen Dichte stereotyper Continuoausfüllung in ihren Affekten und genuinen Effekten begeisternd wirksam, ja sie trug die fast drei stündige, ungekürzte Aufführung mit glühendem Atem, weil alle Ausführenden unter Wenzingers kluger Klangdisposition von der Gewalt dieser Musik erfüllt waren und die Hörer in diese Wunderwelt lyrisch-dramatischer Ereignisse hineinnahmen. Die einzigartige Klanghelle, die erstaunliche Durchhörbarkeit, die beschwingten richtigen Tempi, die Kultur gepflegten Musizieren dürfen als beispielhaft gelten, eine würdige Festaufführung!“ (Musica a. a. O.)

Angesichts der konsequenten und zielstrebigen Künstlerlaufbahn mag es erstaunen, dass Ulrike Taube der Gesang keineswegs in die Wiege gelegt war, die sie übrigens mit ihrer Zwillingsschwester teilte. Erst nach anfänglichem Medizinstudium folgte die in der traditionsreichen Stadt Weißenfels geborene Künstlerin ihrer eigentlichen Berufung und nahm privat Gesangsunterricht bei Edith Laux und Fritz Polster. Bereits 1950 konnte sie ihre Teilnahme am internationalen Bach-Wettbewerb in Leipzig mit einer Auszeichnung krönen.

Nach offiziell abgelegten Prüfungen folgten dann Jahre, in denen sie neben ihrer umfangreichen Konzerträtigkeit als Gesangspädagogin wirkte: in Jena am musikwissenschaftlichen Institut, an der Universität in Leipzig und ab 1961 an der Martin-Luther-Universität in Halle. Und auch dies ist mehr als symptomatisch für die in allen Bereichen der Musik engagierte Künstlerin, dass sie ihren Gesang in das Umfeld musikhistorischer Forschung einbrachte, gleichermaßen wie ihr daraus Quellen für ihre gesangliche Arbeit zuflossen. Namhafte Größen der Musikwissenschaft wie u. a. Heinrich Besseler begleiteten sie auf diesem Weg. Mit solchen Voraussetzungen war es selbstverständlich, dass Ulrike Taube sich gern der Herausforderung neuerer Experimente stellte, was sich nicht allein auf die Interpretation wieder entdeckter alter oder zeitgenössischer Kompositionen bezog. Selbst in einer szenischen Aufführung von Händels Belsazar wirkte sie in Erfurt 1961 mit, worüber die Presse berichtete: ,,Die Sopranpartie wurde diesmal von Ulrike Taube bestritten, die mit ihrem wunderbar gepflegten Organ der Seherin den dramatischen Umriss gab.“

Besonders die reiche mitteldeutsche Musikgeschichte bekam dank auch ihres künstlerischen Engagements einen neuen Stellenwert im Bewusstsein von Interpreten und Hörern. „Alles in allem haben die sorgfältig einstudierten Darbietungen die Lebensfähigkeit der Musik Reichardts überzeugend gezeigt“, schreibt die Presse 1952 nach einem für die damalige Zeit einzigartigen Konzert mit Reichardt-Werken in Händels Geburtshaus. „Aus der Musikgeschichte unserer Stadt“, „Klingende Musikgeschichte – ein Erlebnis“, „Hausmusikwoche im Händelhaus“ – Überschriften dieser Art gingen durch die Presse der 50er/60er Jahre. Und mit ihnen immer wieder der Name Ulrike Taube neben Kurt Hübenthal, Charlotte Weiland, natürlich Gerd Ochs u. v. a. Mit Händels Kantatenwelt, mit den neun deutschen Arien erfreute sie ihr Publikum im Händelhaus ebenso wie mit ihren zahlreichen Auftritten zu den Händelfestspielen, zu deren regelmäßigen Interpreten sie ganz selbstverständlich gehörte.

Die Vielfalt des künstlerischen Engagements von Ulrike Taube, vor allem aber ihr übergreifendes Verständnis des Zusammenwirkens von Gesang, Musizierpraxis und historischem Kontext waren es auch, was ihrer Arbeit als Gesangspädagogin einen unverwechselbaren Anspruch gab.

Wer bei ihr in die Gesangslehre ging, konnte sicher sein, neben der soliden stimmlichen Ausbildung tiefere Einblicke zu erhalten in die geschichtliche Entwicklung des Liedes, in stilistische und ästhetische Belange jeder zu erarbeitenden Komposition. Ganz selbstverständlich forderte sie von uns Studenten die Anfertigung musikalischer Analysen; und – für jene Zeit durchaus eine Neuheit – sie weihte uns ein in die Kunst der Verzierung und Ornamentik der Barockmusik. Wo sonst konnte man die Verquickung von praktischer Musikausübung und theoretischem Fundament so hautnah erfahren wie von ihr? Und unter der behutsamen Führung öffnete sich jedem willigen Schüler eine umfangreiche musikalische Welt des Gesangs, wenn in trauter Zweisamkeit Bachs Kantaten, Händels neun deutsche Arien oder Hugo Wolfs Lieder detailliert und einfühlsam erarbeitet wurden.

Sie hat uns mehr das Singen gelehrt.

Im März dieses Jahres beging Ulrike Taube ihren 80. Geburtstag. Ihrer Heimatstadt Weißenfels ist sie bis heute treu geblieben; treu geblieben ist sie auch ihrem aktiven Engagement für die Musik und ihrer Verantwortung gegenüber dem gegenwärtigen geistig-kulturellen Umfeld. Und während sich ihre Zwillingsschwester (Erdmuthe Müller) dem Heinrich-Schütz-Verein verschrieben hat, ist die einstige Sängerin heute u. a. im Vorstand des Literatur-Kreises Novalis aktiv tätig.

Ihre bis heute ungebrochene Tatkraft macht es leichter, die Brücke in die Vergangenheit zu schlagen und Erinnerungen wach zu halten.

Wie sagte doch erst kürzlich unser Vorstandsmitglied der Händel-Gesellschaft Manfred Rätzer während einer Begegnung auf dem halleschen Bahnhof so ganz spontan sich erinnernd? – „ Die Ulrike Taube – ja, das war doch eine ganz Große in den 50er/60er Jahren!“

– Dr. habil. Karin Zauft – aus Händel-Hausmitteilungen 2/2005